RaceExtract 29er MTB mit Vivax-Zusatzantrieb aus Offenburg: Ein Rad, das fast alles kann
9. 12. 2017
Die aufstrebende Fahrradschmiede, betrieben von Jörg Scheiderbauer und Alexandra Rittner, nutzt die technischen Möglichkeiten des Fahrrades auf hohem Niveau: Ob für den Profisport, für den Pendler oder den ambitionierten Freizeitradler – für alle sucht und baut Jörg Scheiderbauer, selbst Profi im Gelände auf Weltspitzenniveau und im Triathlon, individuelle Lösungen und passt sie dem Nutzer an.
‚Grundstoff‘ seiner Modelle sind eigene MTB-, Touren- und Rennsportrahmen, die exklusiv für RaceExtract gefertigt werden. Darum gruppiert er alles Weitere nach den Bedürfnissen seiner Kunden.
Wie komme ich aus dem weit entfernten Mönchengladbach an eine solche Fahrradwerkstatt? Ich bin als ganzjährig bei jedem Wetter unterwegs – vom Flachland bis ins Hochgebirge – in der Stadt und über Land. Offroad ist meine Sache aufgrund früher erlittene Unfallfolgen mit Bewegungs-einschränkungen nicht. Doch das Rad ist mir seit langen Jahren beliebtes Verkehrs- und Trainingsmittel. Wo andere das Auto nehmen, bin ich mit dem Rad unterwegs. Damit habe ich einen Tagesradius von 60 km bis Köln, Aachen, Düsseldorf, Duisburg hin und zurück. Mit Bahnhilfe ist mir die doppelte Strecke an einem Tag möglich.
Was kann man einem solchen 66-jährigen Fahrrad-Vielfahrer mit über 100.000 km Erfahrung noch für seine Bedürfnisse Passendes bieten? Ich war auf der Suche nach einem elektrischen Zusatzantrieb in einem Rad, das ich trotz fortschreitenden Alters noch über Bahnhofstreppen tragen können will. Doch ein voll straßen- und hochgebirgstaugliches Pedelec wiegt in der Regel ohne Gepäck bereits 25 kg und mehr – mir leider deutlich zuviel.
Auf Internetrecherche wurde ich erst in Offenburg fündig: Der Offroad- und Langstreckensportler Jörg Scheiderbauer bietet sich dort auch fahrradtechnisch als Top-Adresse an.
Mein persönlicher Wunsch war im Sommer 2017 ein Multifunktionsrad – eine Art von Eier legender Wollmilchsau – ganzjährig voll alltagstauglich, straßenverkehrsordnungs-konform, aber mit nur bis zu 16 kg Eigengewicht bei einem zulässigen Systemgewicht von 130 kg. Außerdem sollte es hochgebirgstauglich sein und dabei überwiegend ohne Elektroantrieb genutzt werden. Für Strecken mit starkem Gegenwind und langen Aufstiegen sollte zusätzlich ein unterstützender Motor hinzu kommen – auch wenn Termine an weiter entfernten Orten gut kalkulierbar erreicht werden müssen. Ebenso Gepäck will ich in begrenztem Umfang für Einkäufe oder Touren mitnehmen können.
Hohe Ansprüche sind das! Viel Nachdenken, diskutieren und Kompromisse schließen zwischen Wünschen und technischen Möglichkeiten – das war hier gefragt. Viele vorbereitende, geduldige, fachkundige Gespräche sowie drei Reisen nach Offenburg zur Vorbereitung, Übergabe und Nachjustierung – auch einige fernmündliche Tutorials ermöglichten schließlich mein Traumrad, das ich hier vorstelle.
Optisch ist das MTB wie aus einem Guss: Vorwiegend in Schwarz mit Rot und Weiß präsentiert es sich muskulös, stabil und dennoch flott. Für den Einkauf kann ich Gepäcktaschen anhängen. Dann nähert sich das Rad seinem maximalen Systemgewicht. Die hochwertigen DT-Swiss- (Federgabel, Laufräder) und Shimano XT-Komponenten (Schaltung 22 Gänge, Scheibenbremsen) sowie die schlauchlose Conti-Bereifung in der Protection-Ausführung mit Dichtmilch sorgen neben der Top-Akkubeleuchtung (Lupine SL A4, B&M Topline), 2 hellen Klingeln und einem winzigen Rückspiegel (Zefal Topspin) für reichlich aktive wie auch passive Sicherheit. Topeak DeFender-Schutzbleche bzw. Xtreme SPR II Sattelstützgepäckträger komplettieren die Grundausstattung. Hinzu kommt der Vivax-Antrieb 4,75 mit 9 Ah-Akkupack.
(mein RaceExtract-MTB mit Vivax-Zusatzantrieb am 24. 11. 2017 – hier noch mit B&M-Akkulicht vorne)
Zu den Details und meinen Erfahrungen im Betrieb von September bis Dezember 2017:
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Zwei Räder in einem: Dieses RaceExtract-Rad ist eigentlich nicht nur eines, sondern tatsächlich gleich zwei. Die eine Version kommt ohne E-Antrieb aus und wiegt – voll ganzjahres-tauglich und StVZO-konform ohne Gepäckträger unter 14 kg – mit Schutzblechen, Pedalen, wirklich hellem Akkulicht vorne und hinten sowie Klingeln, Rückspiegeln und Tacho. Für den Großstadtverkehr und Fahrten im niederrheinischen Flachland genügt das voll und ganz. Trotz eingebautem, aber inaktivem Motor fährt sich das MTB absolut leichtgängig und flüssig wie ein hochwertiges nicht motorisiertes Fahrrad. Es lädt zu flottem Fahren geradezu ein. Die Übersetzung ist so gewählt, dass auch Hochgebirgstouren ohne elektrischen Zusatzantrieb möglich sind, was in der Pedelec-Szene eher unüblich ist.
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Fast unsichtbarer Elektroantrieb: Während für gewöhnlich hat jedes Pedelec neben dem hohen Gewicht zwei weitere Nachteile. Man sieht in der Regel Motor und Akku. Außerdem tritt man ohne Nutzung des E-Antriebes den Motor immer mit, was einen deutlich spürbaren, unkomfortablen Zusatzwiderstand mit sich bringt. Hier punktet der Vivax-Antrieb durch sein geringes Gewicht, durch seinen unsichtbaren Einbau im Sitzrohr oberhalb des Tretlagers, durch den unsichtbaren Akku in einer Satteltasche und nicht zuletzt dadurch, dass der Motor außerhalb des Elektro-Betriebes keinerlei Widerstand mit sich bringt. Das Rad fährt sich dann so leicht wie jedes andere auch. So fühlt man sich nicht durch die Technik behindert und kann wirklich frei unter zwei Betriebsmodi wählen, die wirklich beide Spaß beim Fahren machen.
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Gepäcktransport: Will ich auf anspruchsvolle Touren gehen, dann montiere ich werkzeuglos den Sattelstützen-Gepäckträger sowie den Akku in einer Satteltasche und fertig ist ein MTB-Pedelec der Extraklasse mit nur 16 kg Gesamtgewicht, das auch meinem Alter und meinen nachlassenden Kräften Rechnung trägt. Bis 130 kg Systemgewicht ist dieser Renner mit schlauchlosen 2,2-Zoll-Stollenreifen zugelassen. Für mich ist das wichtig, denn ich bin gerne auf einsamen norwegischen Gebirgspisten unterwegs. Da muss ich mich auf die Zuverlässigkeit der Technik schon verlassen können.
Was ist mit Gepäck unterwegs? Ich hätte mir gerne eine steifere Gepäckträgerlösung gewünscht, doch hier gerät das Leichtkonzept an seine Grenzen. Fahre ich flott über hoppelige Pisten, dann spüre ich Lasten von über 5 kg deutlich schwingen. Für den Großeinkauf ist das Rad daher nicht optimal, aber zur Not trägt er seine zugelassenen 10 kg ruhig, solange ich sanft genug radele.
(werkzeuglos montierter Sattelstütz-Gepäckträger für den Transport von Einkäufen bzw. Tourgepäck)
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Alltag und Tour: Seit genau drei Monaten bin ich mit diesem Rad unterwegs und habe damit bisher knapp 2.000 km zurückgelegt – bis heute auch schon im Schnee. Dass darauf Stollenreifen besser zupacken als glatte Pneus, versteht sich von selbst. Doch wie schlägt sich das Leichgewicht ansonsten – im Alltag und auf Tour?
Mit Touren bin ich im teilweise stürmischen September an der Nordseeküste gestartet. Das Rad ermöglichte mir bis zu 140 Kilometer an einem Tag, ohne mich danach kaputt zu fühlen. Ostfriesland ließ sich also an einem Tag durchqueren, wobei hier das Fahren zunächst im Vordergrund stand. Meine Vorbehalte gegen einen harten, schmalen Sattel verflogen schnell. Er passte von Beginn an zu mir. Die 29-Zoll-Räder liefen leicht und ermöglichten mir auch ohne Motor bereits im Schnitt 20-22 km/h im Dauerdurchschnitt auf Tour. Wehte der Nordseewind stärker ins Gesicht, dann schlug die Stunde des Vivax-Motors, der mich von 10-15 km/h auf 15-20 Stundenkilometer beschleunigte. Nur der Wind um die Ohren erinnerte mich an die wetterbedingte Gegenkraft, die hier teilweise wie ausgeschaltet schien. Noch ein Beispiel: Ich besuchte in Aachen eine Ganztags-Fortbildung und legte die notwendigen 120 km mit etlichen Höhenmetern nur teilweise mit Motorunterstützung zurück. Pro Strecke waren ca. zweieinhalb Stunden nötig. Zu keinem Zeitpunkt fühlte ich mich abgeschlagen – konnte ich doch die eigenen Kräfte wunderbar dosieren. Mit dem Zug wäre ich pro Strecke mit dem Faltrad jeweils eine und mit dem Auto über die Autobahn eineinhalb Stunden kürzer unterwegs gewesen. Doch eine Tour bei sonnigem Oktoberwetter zog ich eindeutig vor.
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Nachtfahrten mit dem MTB sind eine Freude, weil mit dem neu montierten Frontscheinwerfer Lupine SL A4 bereits 8 von möglichen 16 Watt für einen PKW-ähnlichen Lichtkegel auf der Fahrbahn sorgen – reichlich Licht auch für unbefestigte, unbeleuchtete Strecken. Der Akku hält das 3 Stunden lang durch; bei Helligkeit liefert er für über 30 Stunden ein unübersehbares Tagfahrlicht.
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Sicherheit: Ich verzichte nicht auf Rückspiegel und Klingel; ein winziger Lenkerendspiegel und zwei helle Klingeln sorgen für Übersicht nach hinten und bei Bedarf für eine freundliche Bitte nach vorne, dem Radler die Bahn offen zu halten. Sicherheit bieten aber vor allem der steife Rahmen, die stabilen Laufräder, die dosierbare Federgabel, die wuchtigen Reifen und nicht zuletzt die zupackende Shimano XT Scheibenbremsanlage.
(als Leichtrad ohne Gepäckträger und ohne montierten Akku: voll straßen- und allwettertauglich unter 14 kg)
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Leistungssteigerung: Die Schaltung ist so gut dimensioniert, dass auch ohne Motor 10% Steigung auf Dauer bewältigt werden. Wozu dann überhaupt ein Pedelec? Ich weiß es zu schätzen, wenn ich längere Strecken fast minutengenau kalkulieren kann – egal was Steigungen und Wind gerade mit sich bringen. Außerdem habe ich Reserven, wenn ich auf einer Hochgebirgstour an meine eigenen Grenzen gerate. Das beruhigt, weil ich dabei bisher um die 100 km als Obergrenze hatte. Statt mit etwa 14 km/h kann ich dann um die 17 Stundenkilometer für die Strecken planen – es gibt also mehr Zeit für Pausen, weitere Streckenmöglichkeiten oder auch Not-Power, um unangenehmen Wetterkapriolen weniger ausgesetzt zu sein, soweit ein Ausweichen möglich ist.
Der Motor kann den Radler für gut 90 Minuten mit voller Leistung unterstützen. Seine Leistung wird erst während der Fahrt zugeschaltet und setzt nicht ruckartig ein. Ein dezentes Sirren begleitet den Elektrobetrieb, der die Kraft eines Freizeitnutzers bei Bedarf locker verdoppelt. Das Ausschalten erfolgt entweder über den Taster am Lenker oder durch Gegendruck auf die Pedale. An Letzteres muss man sich etwas gewöhnen, denn der Vortrieb des Motors hält eine Sekunde lang bis zum Abschalten an. Sowohl der Hersteller als auch ich raten darum dazu, den Motor bei unübersichtlichen Verkehrssituationen frühzeitig am Lenkertaster zu stoppen. Dieser Nachteil wird jedoch durch das unschlagbare Gewicht des Vivax mehr als wettgemacht: nur knapp 2,5 kg gegenüber 5-7 kg bei üblichen Pedelecs.
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Pannenschutz: Ich hatte zunächst Vorbehalte gegen eine schlauchlose Bereifung mit Dichtmilch. Doch ich blieb auch unter reifengefährdeten Großstadt- und Bundesstraßen bisher pannenlos. Hier wurde offensichtlich nicht am falschen Ende gespart, um das Gewicht zu drücken. Dieses System erweist sich als ausgesprochen zuverlässig.
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Wartung: So viel hochwertige und teilweise sehr spezielle Technik bedarf der Pflege und fachkundiger Wartung. Dafür ist das Händlernetz für den Vivax-Antrieb nicht gerade engmaschig aufgestellt. Einmal im Jahr muss das Rad von Mönchengladbach nach Offenburg, um die Technik auf bestem Stand zu halten. Das allerdings war mir von Beginn an bewusst. Ich habe mich wegen der Qualitäten des Rades für diese Lösung entschieden.
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Qualität und Preis: Dass soviel Qualität und Leistung bei minimalem Gewicht nicht billig zu haben sein kann, wird jedem klar sein. Während ein gutes Pedelec mit 25 kg Gewicht ab 2.500 € zu Buche schlägt, so ist dieser deutlich vielseitigere, 16 kg leichte Beinahe-Alles-Könner in der von Jörg Scheiderbauer und mir zusammengestellten Variation bei etwas über 6.000 € angesiedelt. Hochwertige Leichtbaumaterialien ohne jede Einbuße bei der Gesamtstabilität und nicht zuletzt der einmalige Beratungsaufwand einschließlich späteren Nachjustierungen rechtfertigen den Mehrpreis ohne jedes Wenn und Aber.
Wer es günstiger haben will: Mein Renner als Spitzenmodell ohne Zusatzantrieb und alles von mir gewünschtes Zubehör ist hier in Offenburger Handarbeit mit hochwertiger XT-Ausrüstung und einem Gewicht von unter 12 kg für knapp 2.000 € zu haben. Für Gelände und lange Steigungen ebenso ein Renner wie für den Stadtverkehr! Mit einfacherer Ausstattung gibt es auch deutlich darunter viel Fahrrad fürs Geld. Hier finden Sportler wie auch Alltagsfahrer eine Lösung für ihre ganz persönlichen Bedürfnisse.
(das ‚Cockpit‘ des Mountainbikers: viel Platz für Technik und Sicherheit – links unauffällig der Motorschalter)
(hier mit dem neuen Lupine-Scheinwerfer)