3.9 Glaubenssätze bestimmen unser Leben – zum Glück sind sie änderbar

Glaubenssätze bestimmen unser Leben. Doch es ist keinesfalls selbstverständlich, dass sie uns auch bewusst sind. Wir kennen sie oft nicht einmal richtig. Dabei geht von ihnen eine entscheidende Macht auf unsere Alltagsführung aus. Sind die eigenen Lebensergebnisse alles andere als optimal und gibt es keine klar identifizierbaren äußeren Gründe, dann darf vermutet werden, dass hier ‚falsche‘ eigene Glaubenssätze am Werk sind, die aber entscheidenden Einfluss auf uns ausüben.

Dieser Artikel spürt solchen falschen Glaubenssätzen nach. Wo kommen sie her? Sind sie in Stein gemeißelt oder lassen sie sich erkennen und durch bessere ersetzen? Eines vorweg: Ohne eine ständige (Selbst-)Aufmerksamkeit hast du wenig Chancen auf Besserung. Hier ist Wachsamkeit nach innen und außen hin gefragt.

Ich hatte schon wiederholt Gelegenheit und Motivation, den meinen nachzuspüren. Die Ergebnisse dabei sind mitunter erhellend, aber meist alles andere als angenehm.

(Männerfiguren im Osloer Vigelandpark)

15. 1. 2019

Schon der Begriff ‚Glauben‘ ist nicht ganz einfach. In der Wissenschaft wird er vom so genannten Wissen abgegrenzt – als eben nicht wissenschaftlich belegbar bzw. beweisbar. Im Wissenschaftsbereich gilt Glauben eher als minderwertig, weil er sich dessen Werkzeugen entzieht. Dennoch ist Glauben für uns unverzichtbar: Wonach sollen wir uns in unserem Leben richten und was soll uns leiten, wenn wir mit uns selbst und mit Mitmenschen wie auch Mitwelt zurecht kommen wollen? Weder organisch noch kulturell noch seelisch gibt es allgemeingültige Wissens-Vorgaben, an die sich jeder von Beginn an halten könnte, um ein gelingendes Leben begründen zu können.

Worauf aber gründen wir unser eigenes Leben dann? Für alle Lebensbereiche gibt und gab es in allen Kulturen Leitsätze, die den nachfolgenden Generationen, also uns, von außen her vermittelt wurden. Außerdem entwickeln wir,  von innen heraus, von kleinst an auch selbst eigene Glaubenssätze – aus unseren persönlichen Erfahrungen von Beginn an. Sehr früh werden wir bereits damit konfrontiert, dass Wollen, Tun und Sagen – auch unserer Vorbilder – oft Widersprüchliches wiedergeben. Nach unserem eigenen Verständnis legen wir dann in der Regel unbewusst fest, was davon als ‚gültig‘ zutreffen soll.

Der so gebildete Kinderglaube bildet eine wesentliche Orientierungshilfe für das eigene Tun und Lassen im Alltag. Ebenso übernehmen wir Aussagen von Eltern, Lehrern und anderen Vorbildern mit der gleichen Auswirkung. Hinzu kommen die medial vermittelten Botschaften, z. B. auch aus Filmen, Werbung etc.. Alle genannten Aussagen konkurrieren miteinander. Keinesfalls aber stimmen sie miteinander überein. So geraten wir immer wieder in das Dilemma der Wahl: Was soll denn nun gelten? Wir selbst entscheiden dann – oft aus dem Bauch heraus und mehr oder weniger unbewusst.

Viele Ansprüche an uns von außen her passen uns nicht. Sie werden oft als Zumutung bis hin zum Unrecht angesehen. Das gilt im Zwischenmenschlichen ebenso wie im Gesellschaftlichen, wo auch Schicklichkeitsregeln mit dem Anspruchsdenken kollidieren, das vor allem medial tagtäglich über Werbung auf uns einwirkt. Wir wählen meist das als ‚passend‘, was für uns den geringsten inneren und äußeren Widerstand bedeutet.

(auch Selbsttäuschung ist eine solche und ‚funktioniert‘ nur allzu gut.)

In der Mathematik gibt es ebenfalls so etwas wie Glaubenssätze: Es sind unbeweisbare Grundannahmen, auf denen das gesamte Regelwerk unserer Rechenkunst aufbaut – die so genannten Axiome. Insofern bauen auch die gesamten ‚exakten Wissenschaften‘ auf Glaubenssätzen auf, die sich bisher allerdings bewährt haben. Darum gelten sie auch weiterhin als richtig.

 

Nun aber zu den persönlichen Glaubenssätzen. Ein beliebiges Beispiel: Die Deutschen gehen pro Jahr durchschnittlich 17 Mal zum Arzt. Sind wir etwa so krank als Volk? Sicher nicht. Dahinter steht aber ein ganzes Paket an Hintergründen. Zum einen wird in der Regel zwangsweise ein Solidarbeitrag für medizinische Kosten von jedem Einkommen einbehalten, der Krankenkassenbeitrag. Er wird bei gesetzlich versicherten Kassenpatienten gleich vom Gehalt einbehalten. Erste Fehlerquelle als Folge: Neid, Unrechtsgefühl, Missgunst. Wenn mir etwas ‚abgezogen‘ wird, dann soll sich das auch für mich lohnen. Obwohl der Durchschnitt gar nicht so überzeugt von unserem Gesundheitssystem ist, macht er rege Gebrauch von ihm, damit es sich für ihn wenigstens ‚lohnt‘. Dass viele Praxisbesuche, Medikamente, Untersuchungen sich nicht wirklich ‚auszahlen‘, ist dennoch sehr häufige, allgemeine Erfahrung. Für wen lohnt es sich dann überhaupt so richtig? Das sind die, die von diesem System leben, d. h. aus ihm ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage beziehen. Vor allem dann, wenn sie mit teuren technischen Apparaten untersuchen und behandeln. Auch dann, wenn teure Medikamente verordnet und gekauft werden. Das gilt auch für operative Eingriffe in den menschlichen Körper.

(eiliger Gülle-Transport auf eine norwegische Alm)

Es gibt im Wesentlichen drei Gründe oder Glaubenssätze für den Gang zum Arzt als Normalfall:

  1. Ärzte wissen wirklich, was mit Medikamenten, Operationen oder anderen Behandlungen von anderen für mich zu tun ist, damit ich wieder gesund werde, wenn ich krank bin.
  2. Sie verfügen über Mittel, mich auch dann wieder fit zu bekommen, wenn ich an meinem (ungesunden) Lebensstil nichts ändere.
  3. Wenn ich schon gezwungen werde, Krankenkassenbeiträge von meinem Einkommen zu zahlen, dann soll sich das auch für mich lohnen.

Hinter dem ersten und zweiten Satz steht der naive Glaube, dass andere über Mittel verfügen, mich auch dann wieder fit zu bekommen, wenn ich stets so weitermache wie bisher. Beim dritten stützt man sich auf das Neidprinzip, bei dem man sich für das vom Gehalt ‚Abgezogene‘ von den Krankenkassen durch weitgehend sinnfreie Ansprüche entschädigen lassen will.

Für mich persönlich haben diese Glaubenssätze fast 55 Jahre lang überdauert – mit zunehmenden Erschütterungen, um dann in etwa so abgelöst zu werden:

  1. Mein Körper organisiert sich selbst. In aller Regel ist äußere Hilfe nicht nötig. (Ausnahmen: tiefe Wunden, Knochenbrüche, Löcher in Zähnen, Zusammenbrüche)
  2. Da das ‚Gesundheitssystem‘ in seiner jetztigen Form mehr seinen Betreibern als mir nützt, überlasse ich das abgezogene Geld freiwillig denen, die von diesem System Gutes für sich erwarten.
  3. Vorbeugung in Form einer geistig, seelisch und materiell gesunden Lebensführung in einem gesunden Lebensumfeld erhält mich gesund und hilft auch heilen.

Als Folge habe ich seit 2006 konsequent keinen Gebrauch mehr von medizinischen Kostenträgern mehr gemacht. Außer für Zahnfüllungen habe ich keine ärztliche Hilfe mehr in Anspruch genommen – bezahlt aus dem eigenen Portemonnaie. Das ‚verlorene‘ Geld schreibe ich einfach lächelnd ab und ertrage das damit aufgeblähte, kranke Gesundheitssystem aus sicherer Entfernung ganz gelassen.

(Unser Gesundheitssystem ist in jedem Falle ein gut organisiertes Wirtschaftsförderungssystem.)

Eine andere Beobachtung von Absonderlichem führt zu weiteren, in unserem Kulturkreis als allgemein gültigen und dennoch falschen Glaubenssätzen: Unsere Einkaufsstätten gleichen eher üppigen Schatzkammern als Orten, an denen man grundlegende materielle Lebensbedürfnisse befriedigt. Wozu diese üppige Vielfalt? Jeder weiß: Mehr als 25% aller Lebensmittel wandern beim Nutzer in den Müll. Kleidung existiert x-fach im Vergleich zum Bedarf. Technische Dinge werden in der Regel lange vor ihrem Defekt als ‚veraltet‘ durch neuere ersetzt. Es gibt durch Verpackungen und das ‚Abgelegte‘ Unmengen an Müll. Die Produktion von alledem verschlingt Massen von Rohstoffen und Energie. Sein Transport verursacht jede Menge Lärm, Verschmutzungen, Staus, Gefahren und Flächenverbrauch. Warum spielen wir alles das fast widerstandsfrei im Mainstream mit?

Als vernunftbegabte Wesen können wir das doch eigentlich gar nicht. Doch wie schon zuvor spielen auch hier Glaubenssätze mit:

  1. Ein gutes Auskommen für alle gibt es nur mit einer stets wachsenden Wirtschaft.
  2. Umweltschutz verträgt sich nicht mit einer solchen Wirtschaftsweise. Sie würgt das Wachstum ab.
  3. Durch ökologisches Wirtschaften gehen sehr viele Arbeitsplätze verloren.
  4. Umweltauflagen und Besteuerung von Umweltlasten lassen Arbeitsplätze nur anderswohin abwandern.

Alledem steht jedoch ein ökologisches Grundprinzip entgegen: Es geht von knappen Ressourcen und einem folgerichtig sparsamen Umgang damit aus. Lebewesen mit sparsamem, effektiven Ressourcenverbrauch haben Überlebensvorteile. Wir Menschen dagegen weiten unsere Ressourcen-Nutzung immer noch weiter aus – über die Tragfähigkeit der Möglichkeiten unserer Erde hinaus. Dies ist nämlich logische Konsequenz der Anwendung der soeben genannten Glaubenssätze. Wie können aus dem Prinzip der knappen Ressourcen und deren sparsamer Nutzung andere Glaubenssätze für eine zukunftsfähige Wirtschaftsweise abgeleitet werden?

(der als technisch zu organisierende Mitmensch)

In den vergangenen 20 Jahren habe ich mich selbst in etwa so umorientiert – der Logik von den knappen Ressourcen und deren effektiver Nutzung folgen wollend:

  1. Es wird nur angestrebt und genutzt, was wirklich benötigt wird.
  2. Alles materielle Wirtschaften wird in echte Stoffkreisläufe eingebunden. Dinge haben langlebig und reparierbar zu sein. Es entsteht kein Müll.
  3. Es wird regional gefertigt und genutzt.
  4. Jede nicht notwendige Verarbeitung entfällt ebenso wie vermeidbare Transporte.
  5. Ökologisch schädliches, d. h. belastendes Wirtschaften verursacht Schäden, für die der Verursacher aufzukommen hat.
  6. Lebensnotwendige Ressourcen haben für alle als Allgemeingüter frei zugänglich zu sein – das gilt nicht nur für Menschen.

Diese Art zu wirtschaften widerspricht fundamental den zuvor genannten Sätzen. Eine Wirtschaft, die stoffliche, lebendige und soziale Lebensgrundlagen ausplündert und aufzehrt, ist sachlich klar als geisteskrank anzusehen, weil sie sich zerstörerisch auf die Lebensmöglichkeiten aller, vor allem aber zukünftiger Generationen auswirkt. Sie gehört, aus gesundem Überlebensstreben motiviert, möglichst rasch abgelöst. Allerdings wird das große Umwälzungen, viel Unsicherheit und auch unbequeme Veränderungen mit sich bringen, die Widerstände und Auflehnung nach sich ziehen.

In diesem Bereich ist ein eigenes Umsteuern noch weitaus vielschichtiger und langwieriger. Der eigene Glaube an ’neue‘, richtigere Sätze muss einerseits eingeübt werden bis zur Automatisierung. Denken, Fühlen, Planen und Handeln wollen neu organisiert werden. Andererseits bleibt dies dann in starkem Widerspruch zur mehrheitlich gelebten und bestens organisierten Lebens- und Wirtschaftsweise der überwiegenden Mehrheit aller anderen. Das kann leicht zu gefährlichen Spannungen führen, die soziale Beziehungen schwer belasten und schlimmstenfalls zerstören können. Verachtung, Mobbing sowie Ausschlüsse können Folge sein, was vor allem den in der Minderzahl Stehenden, sich Umstellenden besonders hart treffen würde. Solche Risse gingen durch Familien und auch größere sozialen Zusammenschlüsse.

(kritische Schülerkunst am Leibniz-Gymnasium in Düsseldorf)

Umsicht und Diplomatie sind besonders bei denen gefragt, die als Minderheit unter latenter Bedrohung stehen, sozial geächtet zu werden – als Umstürzler, als Spielverderber, als Spinner.

Ich muss aus eigener Erfahrung außerdem einräumen, dass Änderungen aufgrund solcher Glaubenssatzentwicklungen auch im innerpersönlichen Bereich für Verunsicherung sorgen: Zum einen werden spontan immer wieder Rückgriffe auf alte, abzulegende Verhaltensweisen erlebt, zum Anderen bringt das ganz allgemein Verunsicherung mit sich. Das ‚Neue‘ ist noch fremd und fühlt sich weder sicher noch vertraut an. Es bringt zudem auch viele Detailfragen mit sich, die zu beantworten sind. Alles das kostet Zeit und Kraft, die anderswo fehlen.

Ein weiterer Bremsklotz ist ein Gefühl, sich selbst als ‚dumm‘ anzusehen, wenn man es sich nicht selbst so leicht macht, wie es die überwiegende Mehrheit praktiziert. Doch gleich die Gegenfrage: Wird etwas Falsches etwa dadurch richtig, wenn es fast alle so machen? Unser Verlangen nach Anerkennung und Zugehörigkeit ängstigt uns auch immer wieder, so Vieles grundsätzlich anders zu machen als es die vielen anderen tun. Doch gibt es eine sinnvolle Alternative dazu?

Bei so vielen und sehr starken Gegenkräften von innen und außen her braucht es viel Mut, um sich grundsätzlichen Änderungen im eigenen Leben praktisch zu stellen. Die neu angenommenen Aufgaben stellen sich täglich wiederholt aufs Neue. Das gilt allerdings gleichermaßen für die Gegenkräfte, die schwer bremsend wirken. Sein Ansehen und die Anerkennung der eigenen Zugehörigkeiten will niemand einfach so riskieren bzw. aufs Spiel setzen.

Ich habe behutsam und vorsichtig vorzugehen, um nicht mit anderen unnötig in Konfrontation zu geraten – ansonsten kann ich natürlich auch für Änderungen werben bzw. Mitmacher suchen. Beschämen oder verurteilen will ich niemanden: Habe ich nicht selbst jahrzehntelang wie selbstverständlich ressourcenverschwenderisch, umwelt- und sozialschädlich gewirtschaftet? Alleine im privaten Kämmerchen kann ich allerdings auch nicht mehr bleiben. Dazu sind die Probleme zu drängend. Politische Arbeit und Lobbyarbeit sind ebenso angesagt wie Hilfeleistung an Benachteiligte und Verfolgte.

(Plakat einer Hilfsorganisation)