6.4 Willkommen im Club! – Ultimate

31. 5. 2022

Du glaubst doch nur zu gerne, wie ich da in drei Kapiteln unser kapitalistisches System verballhornt habe! Es scheint so klar – das Ganze liegt außerhalb von mir und dir – wir sind nur winzige Rädchen und völlig unbedeutend…

…das kehren wir jetzt mal gründlich um:

(aktuelles Bild vom 71-jährigen Verfasser)

Also: Willkommen im Club der ‚Unschuldigen‘!

Unschuldig wäre gern jeder, doch das Gegenteil ist der Fall. Als Nutznießer des Systems, das ich in den vergangenen Kapiteln ‚auf die Hörner genommen‘ habe, kann ich schwerlich so tun, als ob ich nicht auch dessen Erschaffer, Gestalter und Erneuerer wäre.

Was ich zuvor über ein (scheinbar) außerhalb von mir liegendes System sagte, lasse ich hier auch auf mich selbst (und damit auch dich als Leser) zurückfallen. Dabei spreche ich aufgrund eigener Erfahrungen hier nur von mir – wie du dich selbst hier ehrlicherweise positionierst, kannst nur du selbst aus deiner Erfahrung heraus sagen. Doch Erfahrungen als Nutznießer: Die hast du zweifellos…

…sich stapelndes Urlaubsgepäck des Lebens…

Im ersten Kapitel von ‚Willkommen im Club!‘ ging es um die Mechanismen, mit denen uns ein unkompliziertes, bequemes und sicheres, langes Leben gegeben sein soll.

Zunächst habe ich als Beamter stets ein fließendes Gehalt gehabt – jetzt auch eine gute, feste Rente, die mir bis zu einem Staatsbankrott niemand streitig machen kann. Toll, oder?

Das mit der Wissenschaft habe ich zum Erhalt einer gehobenen Stellung mit gehobenem Gehalt gut für mich selbst genutzt. Das mit der Medizin war dagegen für mich selbst ein äußerst schwieriges Kapitel: Sie war für Verletzungen mit Brüchen, tiefem Wunden und meine Zahnerkrankungen für mich hilfreich – von einer Art von Versorgungsmentalität bei chronischen Beschwerden musste ich jedoch in einem langen Prozess Abstand nehmen und Gesundheit als meine eigene Angelegenheit begreifen lernen, in der alle Therapeuten nicht mehr als sachdienliche Begleiter sein können, denen ich Entscheider bin und bleibe.

Staat und Polizei garantieren mir meine gute Stellung in diesem Leben. Sie sind mein eigener Wunscharm, der mir Sicherheiten liefert, dafür aber auch von mir verlangt, dass ich mich im Umkehrschluss an seine Gesetze halte. Ich erhalte Schutz für meinen umfangreichen Besitz, den ich ausbauen, pflegen und nutzen kann.

Eines meiner Hobbies oder besser eine meiner Leidenschaften ist das Unterwegs-Sein mit dem Wohnmobil bzw. mit dem Fahrrad. Ich möchte im Grunde überall willkommen sein, was mir so eine Art von Persilschein dafür ausstellen soll, mich so ziemlich überall aufhalten und blicken lassen zu können. Auch hier war stets die große Freizeit wie auch das gehobene, sichere Einkommen eine große Hilfe. Toll, nicht wahr?

Das mit den ‚unbegrenzten Möglichkeiten‘ des Individuums habe ich lange für mich in Anspruch genommen – bis ich zunehmend bemerken musste, dass ich selbst unter den Freiheiten zu leiden hatte, die auch die anderen in ziemlich gleicher Weise für sich in Anspruch nahmen. Mit dieser Erkenntnis müssen die eigenen Ansprüche zwangsläufig kleiner, zumindest aber anders werden – in welcher Weise, hat jeder für sich selbst zu beantworten. Selbstbeschränkung, politisches Engagement und eine für die gesamte Mitwelt tragbarere Lebensweise wurde mir zum Ziel.

Da ich immer noch ein Wohnmobil habe und auch ein schönes Eigenheim mit Garten, kann man leider nicht erwarten, dass mein ökologischer Fußabdruck sehr klein geworden ist – trotz Ökobank, Öko-Energien, Öko-Ernährung mit maßvollem tierischem Anteil. Toll, oder?

Das mit den Versicherungen für und gegen alles habe ich ebenfalls mit gewissem Erfolg genutzt und tue dies noch. Allerdings überlege ich heute mehr in die Richtung, alle Zwistigkeiten mit Mitmenschen direkt und ohne Rechtsbeistand zu lösen. Gelingt aber nicht immer – und manchmal lässt sich aus einem Malheur anderer gut Kapital schlagen, wenn ich das System für mich ausnutze. Etwa nicht so toll?

…auf einer Demo für eine gesunde Ernährungswende…

.Im zweiten Kapitel ging es etwas unverblümter um die mitunter wenig zimperlichen Mechanismen, auf die sich Macht gründen kann, die die ‚unbegrenzten Möglichkeiten‘ des Individuums ermöglichen und absichern sollen – ‚friendly fire‘ eingeschlossen…

Das mit den grenzenlosen Möglichkeiten ist eine Milchmädchenrechnung, die niemals aufgehen kann. In der Tat verfügen wir westlichen Menschen aus den Industrienationen über Machtmittel und Möglichkeiten, diesen Planeten wirtschaftlich, militärisch und sozial aus den Angeln zu heben und damit die eigenen Lebensgrundlagen zu vernichten – mit großem, bereits heute sichtbarem ‚Erfolg‘. Toll, was?

Wer wie ich über eigenes Haus und Auto verfügt – so wie das heute für die meisten ‚besser Situierten‘ hier üblich ist – der hat für Herstellung, Nutzung und Instandhaltung bereits massenhaft Energiebedarf zu verantworten. Habe ich also – wahnsinnig toll, nicht wahr?

Was uns bei allen angenehmen Seiten für uns gleichzeitig auch selbst leiden lässt und selbstverständlich andere auch – vor allem wirtschaftlich Schwächere und damit auch die nicht menschliche belebte und unbelebte Welt – ist das wahrhaft teuflische an unserer selbst erschaffenen ‚Pippi-Langstrumpf-Welt‘, wie sie uns gefällt. Umwerfend toll, gelle?

Wo das Problem liegt? Es ist der stets eigene Vorteil, der da gesucht und gefunden wird – ganz systemkonform in der Suche nach nicht endenden Erfolgen. Die hatte ich immer wieder – wenn ich auch erfahren musste, dass z. B. das Automobil als schnelles Fortbewegungsmittel teuer, gefährlich und eine gegenseitige Zumutung mit Lärm wie auch Luftverschmutzung wie ebenso gewaltigem Platzbedarf war. Mir waren ‚die anderen‘ immer wieder im Weg, behinderten, gefährdeten und verletzten mich einfach durch ihre ganz gewöhnliche Nutzung ihres Verkehrsmittels. Gar nicht nur toll für mich – bei den auch zweifellos vorhandenen Vorteilen, die ich ja auch weidlich für mich genutzt habe – auch weiterhin nach meinem schweren Unfall mit Invaliditätsfolgen wie auch jahrelangem Rechtsstreit!

Mit Geld konnte ich nicht gut umgehen. Auch meine Ansprüche waren naiv und überzogen. Außerdem ließ ich mir teure Bedürfnisse gut einreden. So war das Erstreben eines gehobenen Einkommens für mich so richtig unverzichtbar. Dafür musste ich mich in meiner beruflichen Ausbildung ordentlich krummlegen und auch als Lehrer viele von außen kommende Ansprüche ausreichend zufrieden stellen. Wer viel will, der muss sich viel gefallen lassen. Das bedeutete viele Zumutungen für mich, die meine körperliche Gesundheit ebenso belastete wie die seelische. Toll?

Ich wollte Partnerin und Familie. Alles das in gehobener Stellung, wie ich das von meinem Elternhaus kennen gelernt hatte. Woher alle die wirtschaftlichen und sozialen Mittel dazu kommen sollten bzw. kamen, interessierte mich zunächst kaum. Es hatte einfach ‚da zu sein‘. Irgendwie kam das auch alles für mich zusammen und war schließlich da. Dass mein Berufsleben mit 50 Jahren bereits zu Ende war, hatte ich mir nicht so vorgestellt – allerdings nutzte ich die gewonnenen Möglichkeiten als Pensionär auch wieder zu meinem Vorteil. Ich hatte genug Geld, Besitz und eben Möglichkeiten dafür. TOLL!

Wer etwas umbaut, muss achtsam vorgehen, damit es wirklich Fortschritt und Verbesserung gibt. Doch geschieht dies auch wirklich?

Komme ich zum dritten und letzten Teil der voran gegangenen Serie. ‚Willkommen im Club der Organisatoren!‘ hieß es dort vollmundig.

Jeder Einzelne als echter Organisator und damit Gestalter dieses gewaltig gefährlichen Spiels mit dem Feuer, das nicht nur viel Angenehmes, sondern auch so viel ungeheures Leid schafft? Das kann einfach nicht sein! So glaubt jeder nur allzu gerne. ‚Die da oben‘ haben die Schuld, aber wir kleine, unbedeutende Würstchen – wir doch nicht!

Das reden wir uns gerne ein – und unsere hoch organisierte Mitwelt spielt da gerne mit, denn sonst würde das Ganze ja nicht nur nicht funktionieren, sondern sogar schlagartig in sich zusammenfallen! Doch was kommt dann? Nur noch Wehklagen und Armut? Verzicht auf alle lieb gewonnenen Gewohnheiten und Vorteile?

Die Gedanken sind frei – niemand kann sie sehen und fassen. Beweggründe und Ziele sind damit nur schwer fassbar und bleiben zumindest zu einem guten Teil im Verborgenen. Damit lässt sich prächtig Schindluder treiben. ‚Engstirnige moralische Bedenken wischst du einfach beiseite‘, hieß es im entsprechenden Text. Gilt doch mitunter – sprich: wenn es gerade passt – für jeden von uns, auch wenn wir das nicht gerne zugeben. Dennoch – jedermann und -frau nutzt das mehr oder weniger selbstverständlich in mehr oder weniger versteckten Lebenslügen… Sehr toll?!

In unseren westlichen Demokratien bleibt jedem Gedankenfreiheit, Redefreiheit, freie Orts- und Berufswahl wie auch die einer eventuellen Partnerschaf mit oder auch ohne Kinder. Die Kontrolle ist begrenzt. Doch es gibt sie – vor allem auch für die starken Zusammenschlüsse von Menschen jeglicher Art in Konzernen wie auch Behörden. Es gibt Journalismus, Gerichte und auch eine demokratische Gesetzgebung. Hierin liegt die besondere Stärke, aber auch empfindliche Schwäche unseres Lebenssystems. Mit einem autokratischen System möchte ich dennoch nicht wechseln!!!

Beim Suchen und Verfolgen des eigenen Vorteils darf man es immer wieder mit gesunden Grundsätzen nicht so genau nehmen, sonst ist vieles eben nicht möglich. Erfolg hat nun mal seinen Preis – moralisch wie auch mitmenschlich – ja weltumspannend!

Das Leiden in nicht direkt sichtbaren Zonen der schwächeren Schichten wie auch in fernen Zonen der Welt bleibt ja zum Glück unsichtbar und ist auf diese Weise für mich (und dich) ja nicht wirklich ‚da’…TOLL!

Meine Achillesferse bleibt mein ‚gehobener Lebensstil‘, den auch jeder andere in meinem Umfeld gewohnt ist und auch von mir erwartet. Ich kann nicht einfach ‚aussteigen‘ aus diesem sozialen wie auch persönlichen Leben – da passen wir alle gut aufeinander auf, dass es auch so bleibt – TOLL!

Wir sind und bleiben alle Organisatoren, Erschaffer und Gestalter dieser Lebenswelt – sei es in einem demokratischen wie auch autoritären System. Machen wir gemeinsam etwas Besseres daraus – sonst heißt es weiterhin: TOLL!

Wenn alle Probleme so einfach zu erledigen wären… Toll!